Baumeister mit Tiger

Als Stefan Kels 2011 von London zurück nach Berlin kam, hatte sich die Sache mit dem Planen von Wohnhäusern und Bürogebäuden für ihn erledigt. Kels hängte seinen Job als Architekt an den Nagel, um sich fortan der Gestaltung von Kuchen und Torten zu widmen. Das hat er schon als Jugendlicher getan, und stets heimste er für seine Kreationen reichlich Lob ein.

 

Nun schien es also an der Zeit, das Hobby zum Beruf zu machen. In England war der gebürtige Düsseldorfer erstmals mit Cupcakes in Verbindung gekommen. Die hatten es ihm sofort angetan und sollten seinem Leben jetzt eine neue Richtung geben. Kels legte bei der Konditoren-Innung Berlin die Prüfung für Seiteneinsteiger ab und eröffnete im historischen Nikolaiviertel seine Cupcake-Bäckerei mit Café, die er auf den Namen „Tigertörtchen“ taufte – in Anlehnung an ein Rezept aus einem seiner Kinderbackbücher.

 

Als hätten die Berliner Süßmäulchen nur auf das damals noch nicht so bekannte Gebäck gewartet, war der heute 39-Jährige mit seinem Konzept vom Start weg erfolgreich. Vielleicht auch, weil seine Produkte keine Kopie der englischen und amerikanischen Vorbilder sind, sondern in jeder Hinsicht fantasiereiche Eigenentwicklungen.

 

Das fängt schon bei der Größe an: „Ursprünglich sind Cupcakes ja relativ groß, und wenn man einen davon gegessen hat, ist man pappsatt“, weiß Kels aus eigener Erfahrung. Also macht er sie deutlich kleiner, damit man sich gleich mehrere davon einverleiben kann. Und schöner anzuschauen als die Originale sind sie ohnehin – als hätte sie ein detailverliebter Baumeister erschaffen.

 

Eigentlich wollte Stefan Kels seinen ersten Betrieb, für den er eine Praktikantin gewinnen konnte, im angesagten Kreuzberg eröffnen, wo er auch wohnt. Dass sich dort nichts Adäquates fand, erwies sich im Nachhinein als Glückfall, denn die zentrale Lage des Nikolaiviertels im Bezirk Mitte macht das boomende Liefergeschäft erheblich leichter.

 

Allerdings hat der Standort auch einen Nachteil, der sich jedoch erst später herausstellen sollte: „Dort sind wir im Laufe der Jahre schneller als gedacht an unsere Grenzen gekommen“, erzählt Kels. Für die anfangs zwölf Sorten Cupcakes war die Kapazität in Ordnung. Aber es wurden ja ständig mehr, und dann kamen immer neue Produkte wie Macarons, Minigugelhupf, Cuptails, Cake-Pops und Push-Up-Törtchen hinzu.

 

Und schließlich reichte auch der Platz für die Teilnehmer der Backkurse und für die Café-Gäste nicht mehr aus. So schnell kann es gehen, wenn die Richtung stimmt, die Mundpropanda gut läuft und auch die Leute von der Zeitung und vom Fernsehen mal reinschauen.

 

Seit Ende 2017 können Kels und seine zwölf Mitarbeiter aufatmen: Der im Dezember eröffnete zweite Standort mit gläserner Backstube in der Chauseestraße (gegenüber der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes) lässt keine Wünsche offen. „Hier haben wir endlich auch genug Platz für unsere Backkurse, die wir jetzt zu jeder Tageszeit in einer separaten Küche anbieten können.“, freut sich Stefan Kels.

 

Die Kurse, oft auch von Firmen als Team-Events gebucht, brummen ebenso wie die Cafés und das Liefergeschäft mit dem Schwerpunkt Hochzeiten, wobei sich der Umsatz nahezu gleichmäßig auf die drei Standbeine verteilt.

 

Rund 50 süße und herzhafte Cupcakes, die im Laden für 1,30 Euro verkauft werden, stellen Kels, sein Konditormeister, drei Gesellen und eine Auszubildende her. Und natürlich die Macarons, Mini-Gugels, Cuptails (eine raffinierte Kombination aus Cupcake und Cocktail), Cake-Pops und die Push-Up-Törtchen in kleinen Plastikbehältern mit „Hoch-Schiebe-Technik“ (angelehnt an das Eis „Ed von Schleck“ aus den 1980er Jahren).

 

Und nicht zu vergessen die Schokolade sowie eine wachsende Auswahl an süßen Platzkarten und kleinen Gastgeschenken. Und bei alldem achtet das Tigertörtchen-Team stets darauf, dass auch Veganer und Menschen mit Allergien in den Genuss der Kunstwerke im Taschenformat kommen. Ein Hit für die Kunden und eine Spielwiese für die Backstuben-Crew sind zudem die „Törtchen des Monats“, von denen das eine oder andere nach vier Wochen auch den Weg ins Stammsortiment findet.

 

Immer mehr Unternehmen, die ihren Kunden und Mitarbeitern bei Events oder auf Messen etwas ganz Besonderes bieten wollen, füllen die Kundenkartei des Betriebs. „Je individueller wir die Produkte auf die Firmen zuschneiden, zum Beispiel mit deren Schriftzügen oder Logos auf Give Aways, desto besser kommen sie an“, erzählt Kels.

 

Individualität ist auch das Zauberwort für Hochzeiten, die der Unternehmer sowohl direkt als auch über Caterer und Hochzeitsagenturen beliefert. Die Bedeutung dieses Geschäftsbereichs wird schnell klar, wenn man im 100 Seiten starken Hochglanzkatalog für Heiratswillige blättert. Die klassische Anschnitt-Torte spielt darin eher eine untergeordnete Rolle. Viel höher in der Gunst der Gastgeber steht etwa die von einer Torte gekrönte Cupcake-Etagere mit integrierter Candy-Bar.

 

„Für viele Kunden sind große Tortenstücke, für die Messer und Gabel gebraucht werden, out“, stellt Stefan Kels zunehmend fest. Stattdessen greifen sie und ihre Gäste lieber zu den kleinen Spezereien, bei denen sich für jeden Geschmack etwas findet, und eben auch Veganer und Allergiker nicht zu kurz kommen. Oder zu den Cuptails, von denen jedes Exemplar mit einer Pipette zum Injizieren des alkoholischen Getränks ausgestattet ist.

 

Ja, und so kundenspezifisch wie irgend möglich sollen die Hochzeitsbackwaren gestaltet werden – von der persönlichen Geschmacksrichtung bis hin zu individuellen Designvorstellungen und Farbkreationen. Da kommen schnell mal 500 Euro für eine Mix-Etagere oder eine Candy-Bar zusammen. Das hätte wohl selbst der Architekt Stefan Kels nicht gedacht, als sich die Sache mit dem Planen von Wohnhäusern und Bürogebäuden für ihn erledigt hatte.

Fotos: tigertörtchen

Erstveröffentlichung: Konditorei & Café  (www.kocaonline.de)