Es geht auch ohne Chef: In Linden wird wieder gut gebacken

Jetzt machen sie es unter eigener Flagge. Und zwar ziemlich gut. Nach der Insolvenz der Bio-Bäckerei Doppelkorn im Jahr 2017 und dem anschließenden Krimi um den zunächst untergetauchten und mit internationalem Haftbefehl gesuchten Inhaber Manuel P. haben zehn ehemalige Mitarbeiter Ende März ihren eigenen Betrieb in Hannover-Linden eröffnet.

Der Name der Bio-zertifizierten Handwerksbäckerei am vormaligen Hauptstandort in der Limmerstraße, wo seit 1910 ununterbrochen gebacken wird, mutet ebenso ungewöhnlich an wie deren Gesellschaftsform: „Lindenbackt!“ dürfte die erste deutsche Genossenschaftsbäckerei sein. Bemerkenswert ist zudem der äußerst erfolgreiche Start der Jungunternehmer – vom ersten Tag an geben sich die Kunden die Türklinke in die Hand.

So verwundert es kaum, dass die Vorstandsvorsitzende Johanna Kienitz, die den Betrieb zusammen mit Christiane Glowatzki und Jan Hütig führt, an diesem sonnigen Morgen vor Ostern im ehemaligen Arbeiterstadtteil Linden eigentlich keine Zeit für ein Gespräch hat. Schließlich haben sie und ihre Kollegen noch nicht einmal ausreichend Luft für den Job am Schreibtisch – denn im Laden mit Café wird nicht nur an diesem Tag jede helfende Hand gebraucht.

„Nach dem ganzen Hin und Her hat die Vermieterin uns gefragt, ob wir das nicht selbst machen wollen“, erzählt die studierte Germanistin und Philosophin bei einer Tasse fair gehandeltem Kaffee vor dem Laden, den sie schon zu Zeiten von Doppelkorn geführt hat. Und wie sie das wollten. „Einige sind abgesprungen, aber der harte Kern von zehn Kolleginnen und Kollegen hat sich ans Werk gemacht.“

Die bisher rund 150 Anteilseigner ins Boot zu holen war nicht schwer – hatten sich zahlreiche Kunden und Nachbarn des Multikulti-Viertels doch seit der Pleite des Unternehmens mit den über Monate arg gebeutelten Mitarbeitern solidarisiert. Und nicht zuletzt wollten sie so gerne ihre Kiezbäckerei zurückhaben.

„Die meisten Mitinhaber haben einen Anteil im Wert von 300 Euro gezeichnet“, sagt Johanna Kienitz, „einige aber auch deutlich mehr“. Gut auf ging die Rechnung der Gründer zum Schluss durch einen Privatkredit, sodass die Genossenschaft am 19.  Juli 2018 im Handelsregister eingetragen werden konnte. Am 1. Oktober dann der Start: Da der inzwischen geständige Manuel P., der zurzeit auf seinen Prozess wartet, den Betrieb komplett leergeräumt hatte, mussten die Genossen bei Null und ohne Bestandsschutz anfangen.

Am 28. März um 7 Uhr war es dann soweit: Die Bewohner von Linden hatten wieder eine Bäckerei. Wie sehr sie ihnen gefehlt hatte, zeigt eine beeindruckende Solidaritätsbekundung einige Wochen nach Pleite. In dieser führungslosen Zeit des Stillstands und der Ungewissheit organisierten die vergeblich auf ihr Geld wartenden Mitarbeiter spontan ein dreitägiges Backen mit auf eigene Rechnung gekauften Rohstoffen und Zutaten.

„Der Zuspruch der Anwohner war unglaublich“, erinnert sich Johanna Kienitz, „der ganze Stadtteil stand vor der Tür“. Und das Echo hat bis zum heutigen Tag angehalten, sodass der Betrieb sich vom Start weg über eine hohe Kundenfrequenz in der belebten Fußgängerzone freuen konnte.

Allerdings hat das neue Eigentümer-Kollektiv, das dem Verein „Die freien Bäcker – Zeit für Verantwortung e. V.“ angehört, in den sechs Monaten vor der Eröffnung auch kräftig die Werbetrommel gerührt – vor allem mit der Präsenz auf zahlreichen Veranstaltungen und Infoständen im Kiez sowie auf Facebook. Nicht zu unterschätzen war darüber hinaus die Mundpropanda unter den erwartungsfreudigen Kunden.

Der Renner im Sortiment ist „Mamfred“, ein gehaltvolles Roggenschrotbrot mit Kochstück und Ölsaaten, das dem Doppelkorn-Gründer Manfred Dust zur Ehre gereichen soll und für 6,20 Euro pro Kilo über den Tresen geht. „Das läuft wie geschmiert“, sagt Joanna Kienitz. Aber auch die weiteren elf Brot- und die zehn Brötchensorten sowie Snacks finden lassen die Kasse klingeln.

Ordentlich angelaufen sind zudem der Café-Betrieb mit Außenbereich sowie der Absatz kunstvoller Torten, die größtenteils auf Bestellung und auf Wunsch auch vegan produziert werden. Potenzial zeichnet sich überdies beim Liefergeschäft ab: Schon jetzt bestückt „Lindenbackt!“ – ökologisch korrekt mit dem Fahrrad – täglich einen kleinen Bio-Laden sowie ein Geschäft mit unverpackten Lebensmitteln.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Genossenschaft bereits 16 hochmotivierte Mitarbeiter (einschließlich Teilzeitkräfte) beschäftigt, von denen die Hälfte am Unternehmen beteiligt ist. In der Backstube, wo die Arbeit erst um morgens um 5 Uhr beginnt, sind sie derzeit zu dritt: zwei Bäcker, ein Konditor und ein türkischstämmiger Produktionshelfer, der gerade die Herstellung eines Vollkorn-Fladenbrots angeregt hat.

 

Vorerst backt das Team nur mit Weizen-, Roggen- und Dinkelmehlen, die jedoch mittelfristig Zuwachs von weiteren Getreidesorten bekommen sollen. Wachsen sollen überdies das Sortiment, indem noch der Kuchen fehlt, und das Liefergeschäft. „Hier denken wir zum Beispiel an Restaurants, Schulkantinen oder Veranstaltungen“, sagt die Vorstandsvorsitzende.

Beim Blick auf die weiteren Aussichten erzählt Johanna Kienitz auch von geplanten Workshops in Schulen zum Thema gesunde Ernährung – sowie von der Idee, eine Gemeinschaft von Bio-Landwirten wiederzubeleben, die ihr Getreide in einer Dienstleistungsmühle mahlen lässt. Eine solche Mühle gab es zu Zeiten von Doppelkorn und musste im Zuge der Insolvenz ebenfalls aufgeben. „Wenn wir mit anderen Bäckereien in Hannover und Umgebung ein Netzwerk bilden, könnte das funktionieren.“

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)