Hier hat das Handwerk noch goldenen Boden

Im Erzgebirge gehen die Uhren offenbar etwas anders. Zumindest jedoch im 470 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Schwarzenberg: Auf die etwa 17.000 Einwohner der Großen Kreisstadt kommen noch rund 15 Handwerksbäckereien. Eine davon, die Bäckerei Kittel, betreiben die Konditormeisterin Julia Kittel und ihr Mann Pierre in der fünften Generation.

„Hier im Gebirge hinkt man der allgemeinen Entwicklung immer etwas hinterher“, erzählt Julia Kittel mit einem Schmunzeln. Für sie und ihre Kollegen aus der backenden Zunft ist das durchaus von Vorteil. Bedeutet es doch zum Beispiel, dass die großen Discounter erst in jüngerer Zeit damit begonnen haben, ihr Sortiment um „frische“ Backwaren zu erweitern.

Und zumindest der 1897 gegründeten Bäckerei Kittel mit ihren vier Standorten hat diese Entwicklung bisher keinen nennenswerten Schaden zugefügt. „Unsere Kunden sind uns treugeblieben“, sagt die 35-jährige Mutter von zwei Kindern. Einer der Gründe dafür könnte die große Beliebtheit der sächsischen Doppelsemmel des Betriebs sein, der „nicht so aufgeplustert ist und auch am nächsten Tag noch perfekt aufgebacken werden kann“.

Hoch im Kurs bei vielen Kunden steht zudem die Experimentierfreude von Pierre Kittel. So bringt der 39-jährige Bäckermeister im Wechsel mit seinen Kollegen Marlon Gnauck aus Ottendorf-Okrilla bei Dresden und Marcus Ostendorf aus Meitzendorf bei Magdeburg alle zwei Wochen ein exotisches Brot auf den Markt.

„DasDaBrot“ nennen die drei kreativen Meister ihre im Frühjahr 2017 gestartete Reihe, der Kittel im Oktober dieses Jahres anlässlich der Schwarzenberger „Vogelbeerwochen“ ein Vogelbeerbrot hinzugefügt hat. „Die Anregung dazu kam von einer örtlichen Destillerie, die aus den in der Region wachsenden Beeren Schnaps herstellt“, erzählt Julia Kittel.

Bevor die bitteren und im unveredelten Zustand giftigen Früchte verbacken werden konnten, mussten sie einige Stunden in Zuckerwasser ausharren. Anschließend zeigte sich, dass sie hervorragend mit Weizen- und Roggenvollkornmehl sowie mit Buttermilch und Leinsamen harmonierten und so einen entscheidenden Beitrag zu einem „richtig guten Brot“ leisten konnten.

 

Angespornt vom Ergebnis dieses Experiments, wird Pierre Kittel der Frucht im kommenden Jahr eine ganz besondere Ehre zukommen lassen: in Gestalt eines Vogelbeer-Stollens. Mit der Schnapsbrennerei verbindet die Kittels im Übrigen eine weitere Beziehung: In ihrem Auftrag produziert sie den Brotschnaps des Betriebs – ein Destillat aus 100 Prozent Roggenvollkornbrot. Da sage noch einer, das Erzgebirge hinke der allgemeinen Entwicklung hinterher.

Fotos: Bäckerei Kittel

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)