Geschichten zum Brot erzählen

 

„Man muss Geschichten zum Brot erzählen, dann wird alles greifbarer.“ Holger Schüren, der zusammen mit seiner Frau Jana die Bäckerei „Ihre kleine Backstube“ im brandenburgischen Nuthetal führt, ist voller Geschichten rund um das Thema Brot und Brötchen. Und die erzählt der zwei Meter messende Mann seinen Kunden regelmäßig mit großer Leidenschaft.

Eine handelt zum Beispiel davon, dass ein Bauer um die Ecke den mehrjährigen Waldstaudenroggen nur für ihn anbaut und in der nahen Mühle nur für ihn gemahlen wird. Eine andere dreht sich um die handgedrückte Ost-Schrippe, die dreieinhalb Stunden in der Backstube liegt und bis zu sieben Mal angefasst wird.

 

Der 47-jährige Bäckermeister und seine Frau, die gerade die Meisterschule besucht, könnten es auch einfacher haben. Als sie 2007 den Betrieb in der Nähe von Potsdam übernahmen, hätten sie geräuschlos in die Fußstapfen ihres Vorgängers treten und dessen Konzept „mit viel Tütenware“ übernehmen können. Doch die Schürens wollten sich vom konventionellen Standard und vom Wettbewerb absetzen, ihren eigenen Weg gehen und das gesamte Sortiment auf selbstentwickelte und -produzierte Waren umstellen. Das ist ihnen, mit viel Geduld und Hingabe an das Handwerk, gelungen.

Holger Schüren, seit 2015 Brandenburgs erster Brotsommelier, kauft seine Rohstoffe und Zutaten am liebsten bei regionalen Partnern ein. Neben Mehl etwa auch Beeren, Sanddorn, Kürbiskerne, Hanf und Mohn. „Das wächst alles bei uns mehr oder weniger vor der Haustür.“ Einer seiner Partner betreibt eine kleine Ölmühle, die ihn seit Kurzem mit einem ganz besonderen Produkt beliefert – mit Leinsaatpresskuchen. Üblicherweise werden diese beim Pressen von Leinsaat entstehenden Festbestandteile entsorgt. Doch der Müller und Schüren hatten eines Tages eine bessere Idee: Aus dem 24 Stunden eingeweichten Presskuchen und einem langzeitgeführten Weizenteig mit Vorteig entstehen jetzt Leinsaatpresskuchen-Brötchen mit einer leichten Bitternote und ohne die Zugabe von Salz.

 

Die Lust des Meisters am ständigen Experimentieren und Verändern zieht sich wie ein roter Faden durch die Backstube, in der Holger Schüren zusammen mit drei Gesellen und fünf Auszubildenden arbeitet. Und sie überträgt sich vom ersten Tag an auf den Nachwuchs, der nicht erst einmal richtig putzen lernt, sondern sofort mitten im Geschehen ist. „So bekommen wir schnell gute Mitarbeiter, die sich schon in der Ausbildung an Wettbewerben und internationalen Austauschprogrammen beteiligen“, sagt Schüren. Gute Mitarbeiterinnen beschäftigt „Ihre kleine Backstube“ auch im Verkauf. Das liegt nicht zuletzt an den regelmäßigen internen und externen Schulungen, für die der Unternehmer eine Personalberaterin engagiert hat.

 

Seit seiner Fortbildung zum Brotsommelier ist Holger Schüren ein noch besserer Geschichtenerzähler als vorher, weil damit sein Brotwissen „um 100 Prozent“ erhöhen und seinen Ruf als angesehener Spezialist ausbauen konnte. Dieses Wissen gibt er natürlich gerne an seine Kunden weiter – nicht zuletzt in Form von Seminaren, in denen alles noch viel greifbarer wird als beim Erzählen.

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)