Vom Schreibtisch zum Handwerk

Irgendwann hat sich das Bäcker-Gen doch durchgesetzt. Das war im September 2013, als Ina Blisse im Alter von 47 Jahren im Berufsbildungszentrum EFA A Cancela der galicischen Stadt As Neves eine zweijährige Ausbildung zur Bäckerin und Konditorin begann. Nach einer langen „Walz“, die die gelernte Verlagskauffrau unter anderem in die USA sowie nach Chile und Mexiko geführt hat, lebt Blisse seit 2005 in der rauen Landschaft der autonomen spanischen Region Galicien. Der Schwenk vom Schreibtisch zum Handwerk ist nicht zuletzt ihrem Lebenspartner zu verdanken. „Das könnte ich mir bei dir gut vorstellen“, sagte er eines Tages zu ihr.

Eigentlich sollte bereits ihr Vater Bäcker werden, doch der wurde dann lieber Musiker. Bei ihrer Tante fiel das Bäcker-Gen schon eher auf fruchtbaren Boden. Sie heiratete einen Berliner Meister, dessen Betrieb Ina Blisse oft besucht hat. „Der Duft der Backstube hat sich bei mir eingeprägt“, erzählt die gebürtige Wilhelmshavenerin. Die Ausbildung in Spanien ist mit der deutschen nicht zu vergleichen, findet sie doch ausschließlich in einer staatlichen oder privaten Schule statt. Einblick in den Arbeitsalltag erhalten die zunehmend weiblichen Absolventen erst zum Schluss in Gestalt eines vierwöchigen und zweier siebentägiger Praktika. Wer die Prüfung geschafft hat, darf sich sowohl Bäcker als auch Konditor nennen und sich gleich darauf selbstständig machen, denn einen Meistertitel gibt es in Spanien für diesen Beruf nicht.

 

Unzertrennlich: Ina Blisse und das Brot. Foto: Fernández Echevarria
 

„Die beiden Jahre waren nicht nur wegen der Sprache eine Herausforderung“, sagt Ina Blisse. Denn die komprimierte Ausbildung in Theorie und Praxis, die mit 60 Euro pro Monat zu Buche schlug und auch die Zubereitung von Nachspeisen umfasste, hatte es in sich: Elf Fächer standen auf dem Programm, und am Ende waren sechs Prüfungen zu bestehen. In den Praktika, von denen Blisse das vierwöchige dank einer Sondergenehmigung des Bildungsministeriums in Deutschland absolviert hat, zeigte sich eine Schwäche der schulischen Lehre: „Ich habe schnell gemerkt, dass es bei mir in der Praxis noch hakt, wenn es etwa um das Wirken der Teige ging.“ Im Vergleich zu Deutschland sind die Berufsaussichten für den Nachwuchs in Galicien nicht so rosig. Zumindest dann, er nicht einer Bäckerfamilie entstammt. „Das sind meistens Großfamilien, die erst einmal dafür sorgen, dass die Angehörigen Arbeit haben.“

Als Ina Blisse zum ersten Mal über die Wochenmärkte ihrer galicischen Wahlheimat schlenderte, fielen ihr gleich die vielen mächtigen Brote ins Auge, die bis zu vier Kilo auf die Waage bringen und in den Läden eher selten zu sehen sind. Und als sie die ersten Bäckereien besucht hatte, zeichnete sich ab, dass in den meisten Betrieben die Preis-schilder fehlen. Das mag auch damit zu tun haben, dass die oft cremehaltigen Kuchen und Torten überwiegend als Ganzes verkauft und vorher abgewogen werden.

“Die Sortimente der spanischen Handwerksbäckereien fallen regional sehr unterschiedlich aus“, stellt Blisse fest. Prägend für Galicien ist der Umstand, dass in diesem Landstrich als einziger Region Spaniens nicht nur Weizen-, sondern auch Roggen- und Maisbrote aus dem oft noch mit Holz befeuerten Ofen kommen. So ist es wohl auch kein Zufall, dass hier das erste Brot der Iberischen Halbinsel mit dem Gütesiegel „Deno-minación de Orígen“ (garantiert traditionelle Spezialität) ausgezeichnet worden ist.

Ein neuer Trend, der vielen spanischen Betrieben zusätzlichen Umsatz bringt, heißt „Mousse to go“, wobei nicht nur der Klassiker Mousse au Chocolate, sondern auch fruchtige Variationen eine Rolle spielen. Fast keine Rolle spielen hingegen Bio-Backwaren. „Die gibt es nur punktuell, und daran wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern, obwohl Spanien beim Export von Bio-Produkten mit an der Spitze liegt“, sagt Ina Blisse. Eine Erklärung dafür könnten die traditionellen, überall im Land verbreiteten Bauern- und Erzeugermärkte sein. „Die Menschen gehen davon aus, dass sie dort natürliche, regionale Lebensmittel in einer guten Qualität bekommen.“

Die frisch gekürte 49-jährige Bäckerin, die auch einen Onlineshop für ökologisch erzeugte Lebensmittel betreibt, würde im Prinzip gerne Brot und Kuchen in Bio-Qualität backen. Dass es dazu nicht kommen wird, ist nicht allein der mangelnden Nachfrage und der Situation auf dem Arbeitsmarkt geschuldet – denn Ina Blisse möchte ihren neuen Beruf nicht in der Backstube ausüben. „Ich bin zwar noch fit, aber auf Dauer wären mir die körperlichen Belastungen und die ständige Nachtarbeit zu anstrengend“, hat sie herausgefunden. Gleichwohl wird sie der Branche dank einer eigenen Geschäftsidee verbunden bleiben: Unter dem Motto „Weiterbildung und Urlaub“ möchte Blisse ab März dieses Jahres im Berufsbildungszentrum in As Neves Intensiv-Backseminare für deutsche Handwerks- und fortgeschrittene Hobbybäcker anbieten.

In den viertägigen Seminaren zum Preis von 450 Euro, die Blisse in Zusammenarbeit mit einem spanischen Kollegen leitet, können die Teilnehmer Rezepturen galicischer und zum Teil spanischer Backwaren wie Brote, Kleingebäcke und Kuchen in authentischer Umgebung kennenlernen und erarbeiten. „Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien ist Spanien im Backhandwerk noch eine Unbekannte, aber auch hier gibt es viele spannende Rezepte und Spezialitäten, mit denen die Kollegen ihre Sortimente bereichern können.“ Unterm Strich haben sich das Erwachen des Bäcker-Gens und der Schwenk vom Schreibtisch zum Handwerk für Ina Blisse also doch gelohnt.

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)