Food Art vom Feinsten

Im Laufe des Abends wird zunehmend deutlich, wie vergänglich Kunst sein kann. Zumindest die von Kristiane Kegelmann. Nach anfänglichem Zögern werden die Gäste ihrer Ausstellung „Second Glance“ in der kleinen Berliner Galerie SMAC mutiger. Sie fassen die vom Boden bis zur Decke reichende, plastisch und unantastbar wirkende Installation zunächst vorsichtig an und „zerstören“ sie nach und nach, indem sie die Einzelteile aufessen. Dieser Akt der Überwindung des respektvollen Abstands gegenüber dem ungewöhnlichen Ausstellungsstück ist ganz im Sinne der jungen Konditorin, Food Artistin und Designerin. Sie erschafft gebackene Kunstwerke, die nicht nur temporärer Natur sind, sondern auch zu außergewöhnlichen kulinarischen Erlebnissen führen. Die zunächst ehrfürchtigen Besucher der Präsentation mutieren also von distanzierten Betrachtern zu Akteuren, die an der Transformation ihrer Installation aktiv mitwirken, bis nicht mehr viel davon zu sehen ist.

Foto: Carolin Prange

Mit ihrer Arbeit möchte Kristiane Kegelmann eine Brücke zwischen zeitgenössischer Kunst und Genuss schlagen und dabei mit den traditionellen Strukturen und Produkten der Konditorei brechen. „Ich brauche immer wieder eine neue Herausforderung, die ich im Tagesgeschäft und in der Massenproduktion nicht finde“, sagt die 26-Jährige, die ihre Arbeit als „Eat Art“ bezeichnet. Wie das anstrengende Tagesgeschäft aussieht, hat sie unter anderem während der Ausbildung in der FRITZ Mühlenbäckerei in ihrer Heimatstadt München erfahren: diszipliniert anpacken und durchhalten. „Ich kann also arbeiten, organisieren und strukturieren, und das ist auch heute für mich sehr wichtig.“

Foto: Carolin Prange

Nach der Ausbildung standen zunächst neun Monate Salzburg auf dem Fahrplan ihrer Walz, gefolgt von einem Jahr in Australien, wo sie in der Patisserie eines Restaurants Erfahrungen abseits des europäischen Standards sammeln konnte. Zurück in Europa, klopfte Kristiane Kegelmann bei der traditionsreichen Wiener Konditorei DEMEL K. u. K. Hofzuckerbäcker an, wo sie vier Jahre bleiben sollte. „Dort habe ich viel in Sachen perfektionistische Umsetzung, Kundenkontakt und Kalkulation gelernt“, erzählt die Konditormeisterin.

In dem 1786 gegründeten Wiener Betrieb, wo Kegelmann zuletzt Leiterin des fünfköpfigen Verzierungspostens war, hätte sie gewiss eine steile Karriere hinlegen können. Doch es sollte ganz anders kommen: „Als ich alles beherrscht hatte, merkte ich, dass ich langfristig so nicht arbeiten möchte.“ Wohin es stattdessen gehen könnte, probierte sie bei DEMEL nach Feierabend aus und legte damit den Grundstein für ihre heutige künstlerische Arbeit in Berlin, wo sie seit zwei Jahren lebt.

Foto: Pujan Shakupa

Kristiane Kegelmanns Werke sind keine brotlose Kunst, die auf das Wohlwollen von Galeristen oder Mäzenen angewiesen wäre. Vielmehr hat sich die Münchnerin in der Hauptstadt relativ schnell einen Ruf als Ausnahmekonditorin geschaffen, die bereits über gute Kontakte zu Firmenkunden verfügt. Die wiederum verdankt sie vor allem guten, aus eigener Kraft aufgebauten Kontakten zu Eventagenturen, die ihre essbare vergängliche Kunst gerne als Highlight ins Portfolio aufnehmen.

Dementsprechend sind Kegelmanns kulinarische Installationen und Objekte weitaus häufiger auf großen Firmenveranstaltungen und privaten Events als in kleinen Galerien zu sehen. Dennoch gibt es eine Parallele zwischen den Orten: die staunenden Blicke der Gäste, wenn sie erfahren, dass es sich bei den Kunstwerken um feinste Konditorwaren handelt, die zerstört werden dürfen und sollen, um sodann genüsslich auf der Zunge vergehen zu können.

Foto: Pujan Shakupa

Wie dieser Akt der Annäherung und Überwindung über die Bühne geht, erlebt die Food Artistin jedes Mal aus nächster Nähe mit – denn die Kunden kaufen nicht nur ihre aus vielen einzelnen Schmuckstücken gefertigten Produkte zu einem vierstelligen Preis, sondern auch die räumliche Präsenz der Schöpferin bei deren Verzehr. „Die Barriere der Gäste ist auch deshalb so hoch, weil die meist kantigen und geradlinigen Objekte nicht so aussehen, als wären sie essbar“, erklärt Kristiane Kegelmann, „und die meisten können sich nicht vorstellen, dass sie auch noch gut schmecken.“

Ihre Anwesenheit auf den Veranstaltungen der Kunden hat nicht nur einen repräsentativen Charakter; vielmehr dient sie auch dazu, den Gästen die Scheu zu nehmen und nach Herzenslust zuzugreifen. Darüber hinaus hat sie einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt, der die Akquise potenzieller Kunden zu einem Heimspiel macht: das direkte Gespräch mit den sogenannten Entscheidungsträgern, die selbst auf der Suche nach neuen Wegen für ihre eigenen Events sind und dafür eine Steilvorlage geliefert bekommen. „Für diese Unternehmer liegt der besondere Reiz in der ungewöhnlichen Verbindung zwischen Design und Kulinarik, in die ihre Gäste involviert sind und die deutlich länger in Erinnerung bleiben als das übliche Dessertbuffet“, erklärt die backende Künstlerin.

Optimale Geschmackskompositionen strebt die Wahlberlinerin durch die Verwendung qualitativ hochwertiger und nach Möglichkeit biologisch hergestellter Zutaten an. Gewiss, ohne (fair gehandelte) Schokolade, Früchte und Co. geht auch in ihrer noch vorläufigen Werkstatt am Berliner Stadtrand nichts. Aber auf Kegelmanns Einkaufsliste stehen daneben zum Beispiel auch Zucchini, Gurken, Auberginen und Paprika sowie Tannen- und Kiefernnadeln, Rosmarin und diverse ätherische Öle für kontrastreiche Ergebnisse, die ohne viel Süße auskommen. „Selbst in guten Patisserien ist es mir meistens zu süß, und das geht zu Lasten des Aromas“, sagt Kristiane Kegelmann, die ihre künstlerische Ader in Kursen über Bildhauerei weiterentwickelt hat.

Foto: Pujan Shakupa

Ein zentraler Unterschied zur klassischen Konditorei sind nicht nur die teilweise exotisch anmutenden Ingredienzien, sondern auch die Tatsache, dass die Food Designerin ihre Aufträge nahezu ohne Vorgabe seitens der Kunden ausführt. Als Orientierung dienen ihr lediglich das Thema der Veranstaltung und der Ort des Geschehens, den sie ausgiebig unter die Lupe nimmt, bevor es ans Werk geht. „Darüber hinaus lassen mir die Kunden den Spielraum, den ich für die Umsetzung meiner Ideen brauche, und bisher hat es damit noch keine Probleme gegeben“, sagt die Konditormeisterin.

Im Gegenteil: Meist läuft so, dass die zufriedenen Auftraggeber anderen potenziellen Kunden über ihre Arbeit berichten und so für eine erstklassige Mundpropaganda sorgen. Außerdem profitiert Kegelmann (noch) von ihrem Alleinstellungsmerkmal, denn Wettbewerber sind weit und nicht in Sicht. Auf den Erfahrungsaustausch mit anderen kreativen Köpfen im Bereich Food muss sie dennoch nicht ganz verzichten. Denn davon gibt es in der sich rasant entwickelnden Berliner Gastro-Szene mehr als genug.

 

 Foto: Pujan Shakupa

Zu ihren regelmäßigen Gesprächspartnern gehört etwa Billy Wagner. Der mehrfach zum besten deutschen Sommelier gewählte Gastronom hat Anfang 2015 das derzeit angesagteste Berliner Restaurant „Nobelhart & Schmutzig“ eröffnet, welches dank seines Küchenchefs Micha Schäfer bereits im November 2016 mit seinem ersten Michelin-Stern ausgezeichnet worden ist. „Das Feedback von solchen Kollegen“, betont Kristiane Kegelmann, „ist für mich genauso wichtig wie das meiner Kunden“.

Noch mehr Feedback wird die junge Eat Art-Künstlerin voraussichtlich ab Februar dieses Jahres erhalten. Dann soll die Arbeit in ihrer gemieteten Küche am Stadtrand zu Ende gehen und im eigenen Atelier im Stadtteil Prenzlauer Berg fortgesetzt werden. Dort möchte Kegelmann auch ihre Installationen und Skulpturen präsentieren sowie Veranstaltungen und Workshops für Privatpersonen anbieten, die es in dieser Form nicht an jeder Ecke Berlins gibt. Und ebenso wie die kleine Galerie SMAC wird die neue Werkstatt ein Ort sein, an dem die Vergänglichkeit von Kegelmanns Kunst aus nächster Nähe miterlebt werden kann.

Erstveröffentlichung: Konditorei & Café – Patisserie (www.kocaonline.de)