Wo der Rabbiner über Brot und Brötchen wacht

Dreimal in der Woche bekommt Stefan Kädtler nachts unangemeldeten Besuch: Ein Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin kontrolliert, ob in der Backstube alles mit rechten Dingen zugeht. Der 1935 gegründete Betrieb in Prenzlauer Berg ist eine koschere Bäckerei – die einzige von Berlin. Brot und Brötchen werden dort komplett und das Kuchensortiment zu 70 Prozent nach den strengen Vorschriften der jüdischen Religion produziert.

Im Jahr 2000 nahm die Umstellung ihren Lauf. Nach der Übernahme des Betriebs von seinem Vater wollte sich Stefan Kädtler vom Wettbewerb absetzen und verbannte sämtliche Fertigmischungen und Convenience-Produkte aus der Backstube, um fortan „handwerklich sauber und naturbelassen“ zu arbeiten. Das sprach sich herum und kam auch der Jüdischen Gemeinde zu Ohren.

Die größte Hürde auf dem Weg zu koscheren Backwaren waren nicht das Mehl, sondern simple Zutaten wie Margarine oder Salz. „Die Rieselhilfen im Salz bestehen oft aus Schweinemalz, und die Margarine muss unter der Aufsicht eines Rabbis hergestellt werden“, erklärt der 50-jährige evangelische Bäckermeister, dessen Preise auf dem Niveau eines nichtkoscheren Betriebs liegen.

Ein weiteres Hindernis ist etwa auch bei der Produktion von Stollen zum jüdischen Lichterfest im Dezember zu überwinden: Bevor Kädtler die Rosinen in koscheren Wein einlegen kann, muss der Rabbiner kommen, um die Flaschen zu entkorken. „Wenn ich sie öffnen würde, wäre er automatisch nicht mehr koscher.“

Bei der Einführung neuer Produkte ist in der Danziger Straße also stets äußerste Wachsamkeit angesagt. So wie vor einigen Wochen, als bei der Kreation eines Hafer-Rohrzucker-Kekses die Frage auftauchte, woher der zu 100 Prozent vegane Zucker kommt. Und wenn Stefan Kädtler, der im Berliner Umland eine Imkerei betreibt, den Mehllieferanten wechseln möchte, müsste der neue zuvor vom Rabbi überprüft werden.

In den Nächten von Donnerstag auf Freitag herrscht in der Bäckerei Kädtler regelmäßig Hochbetrieb: Die Herstellung der aus sechs Zöpfen geflochtenen Challa-Brote zum Schabbat fordert ihren Preis. Sobald sie den Ofen verlassen haben, wird der größte Teil ins Auto verfrachtet und an sieben der acht Berliner Synagogen geliefert. Der Rest geht im Laden über die Theke.

„Die Herstellung koscherer Produkte erfordert ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Rabbiner und mir“, sagt Stefan Kädtler. Am nächtlichen Besuch in der Backstube führt dennoch kein Weg vorbei. „Das ist Vorschrift.“

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)

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