Vom Trierer Demeter-Landwirt zum Schweriner Bio-Bäcker

Als Christian Fries Mitte der 90er Jahre ins Bäckerhandwerk wechselte, hatte er bereits zwei andere Gesellenbriefe in der Tasche: Kfz-Elektriker und Demeter-Landwirt. Die Sache mit den Autos war ihn für jedoch bereits nach dem Zivildienst erledigt. Der Abschied von der Landwirtschaft nach den strengen Richtlinien Rudolf Steiners aus dem Jahr 1924 sollte hingegen etwas länger dauern.

 

Doch der gebürtige Trierer ist froh, auch diesen Schwenk vollzogen zu haben. Seit 1997 betreibt der 48-jährige Bäckermeister die größte Bio-Bäckerei Mecklenburg-Vorpommerns im ländlich gelegenen Schweriner Stadtteil Medewege. Seine Mühlenbäckerei beliefert 120 Naturkostfachgeschäfte und -supermärkte mit Demeter-Backwaren in ganz Norddeutschland sowie in Teilen Dänemarks.

 

Dass der Betrieb einmal solche Ausmaße annehmen würde, war natürlich nicht absehbar, als Fries mit seiner Familie und einer Osttiroler Steinmühle vor 21 Jahren auf dem Schweriner Bauernhof angekommen war. Dort hatten die beiden Demeter-Landwirte schon längere Zeit nach einem Bäcker Ausschau gehalten, der ihr Getreide unmittelbar vor Ort verbacken würde.

 

Fries kam direkt von der Meisterschule in Dresden und hat sich damals aus heutiger Sicht ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt: „Zumal ich ja kaum betriebswirtschaftliche Kenntnisse hatte.“ Doch die Sterne standen günstig: Acht Jahre nach der Wende war die Herstellung von Bio-Brot in Mecklenburg-Vorpommern noch kein großes Thema, aber das langsam aufkeimende Interesse der Verbraucher schon durchaus erkennbar.

 

Also legte Christian Fries los – mit dem richtigen Gespür und einem gebrauchten Pizzaoffen als Grundausstattung. Ganze 60 Quadratmeter umfasste seine Backstube beim Start, in der zunächst nur Brote und ein paar süße Kleinigkeiten wie Nussecken und Mandelsplitter in den Ofen kamen, die am Anfang ausschließlich im Hofladen des landwirtschaftlichen Betriebs und auf Wochenmärkten verkauft wurden. Doch relativ bald kamen die ersten beiden Bio-Läden in Schwerin und Güstrow als erste Lieferkunden hinzu.

 

Und schließlich ging es Schlag auf Schlag, denn die Kunde von der Qualität seiner Backwaren sollte sich auf dem platten norddeutschen Land schnell herumsprechen. Und ebenso schnell drohte die Bäckerei aus allen Nähten zu platzen. „Analog zur gesamten Bio-Szene sind auch wir kontinuierlich gewachsen“, sagt Fries. Fortan hangelte er sich von Anbau zu Anbau und eröffnete 2007 schließlich einen für den damaligen Bedarf ausreichend großen Betrieb, der heute allerdings auch schon wieder zu klein ist.

 

Die Expansion ist aber auch der kontinuierlichen Erweiterung des Sortiments geschuldet. In den ersten zehn Jahren blieb die Mühlenbäckerei ­eine reine Brotbäckerei. Nach der Erweiterung von 2007 konnte es dann auch mit der Konditorei losgehen. Das war durchaus im Sinne der großen und kleinen Naturkostgeschäfte, die lieber von einem Vollsortimenter beliefert werden wollten.

 

Seine Leidenschaft für das Bäckerhandwerk entdeckte Christian Fries während der Ausbildung zum Landwirt im Hunsrück. Parallel zur Lehre absolvierte er in der hofeigenen Bäckerei ein Praktikum. „Da wurde mir klar, dass mich das Backen auf Dauer mehr interessieren würde als der Getreideanbau und die Milchwirtschaft“, erzählt er. Das mag auch an dem Umstand gelegen haben, dass der Praktikant von heute auf morgen ins kalte Wasser geworfen wurde: Sein Meister fiel krankheitsbedingt für längere Zeit aus und er musste den Betrieb plötzlich alleine stemmen.

 

Das war wohl eine wichtige Grundlage zur Führung seines eigenen Unternehmens, das knapp 90 Mitarbeiter beschäftigt und den Umsatz seit 2007 nahezu verfünffacht hat. 50 der 120 Bio-Läden beliefert die Mühlenbäckerei täglich mit der eigenen Flotte; sie liegen in einem Radius von 100 Kilometern rund um den Betrieb. Die anderen 60 Kunden, die sich unter anderem in Hamburg, Bremen, Lübeck, Kiel und Braunschweig befinden, werden von Naturkostgroßhändlern bedient.

Endverbraucher, die am liebsten direkt beim Bäcker kaufen, kommen ebenfalls nicht zu kurz: Sie versorgen sich entweder vor Ort in dem nicht von Fries betriebenen Medeweger Hofladen oder in den Filialen in der Schweriner Innenstadt und in Rostock. Darüber hinaus gehört Fries ein Café in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern.

 

Auf drei Wochenmärkten, „die richtig gut laufen“, zeigt das Unternehmen ebenfalls Flagge – zum Beispiel in Lübeck, wo Christian Fries außerdem ein nicht zu Bäckerei gehörendes vegetarisches Restaurant betreibt. Und in den Sommermonaten blüht überdies das Saisongeschäft. Dann touren Mitarbeiter des Betriebs täglich mit dem Verkaufswagen über die weitläufige Ostseehalbinsel Fischland-Darß-Zingst, wo sie von zahlreichen Urlaubsgästen erwartet werden.

 

 

Und erst einmal auf den Geschmack gekommen, bleiben immer einige Urlauber der Mühlenbäckerei über den Onlineshop treu. Apropos Touristen: Hotels und Restaurants im oberen Preissegment zählen ebenfalls zu den Kunden wie zwei Edeka-Filialen mit einem eigenen Bio-Sortiment.

 

Den größten Teil seines Weizens und Roggens bezieht Fries, der sich über eine Backstubenauslastung von 90 Prozent freuen kann, von seinen unmittelbaren Nachbarn – den keine 100 Meter entfernten Demeter-Landwirten, „zu denen ich von Anfang den Schulterschluss gesucht habe“. Von dort geht das Getreide unmittelbar in die drei Mühlen des Betriebs, in dem die erste Schicht nachmittags um 15:30 Uhr ihre Arbeit aufnimmt. Der Rest, vor allem Dinkel und Emmer, kommt von Höfen aus Schleswig-Holstein, die Fries wiederum mit Backwaren beliefert.

 

Für den momentanen Renner im Brotsortiment verwenden die Mecklenburger Mühlenbäcker nahezu ausschließlich gekeimtes Getreide: „Unser Essener mit selbst hergestelltem Ferment ist seit einiger Zeit der absolute Liebling unserer Kunden“, erklärt Christian Fries. Aber auch die Konditorei hat einen Star in ihren Reihen: gedeckten Apfelkuchen mit Obst, das ebenfalls direkt nebenan angebaut wird.

 

Wie viele seiner Kollegen verzeichnet auch Fries ein starkes Wachstum im Segment der veganen sowie der gluten- und laktosefreien Backwaren. Dieser Entwicklung will der Unternehmer noch in diesem Jahr mit dem Bau einer separaten kleinen Produktionsstätte für glutenfreie Produkte Rechnung tragen.

 

Aber auch abgesehen davon braucht er mehr Platz in der Backstube, die wieder einmal an ihrem Limit angekommen ist. Mehr Kapazität benötigt Fries, der vom „Feinschmecker“ 2017 zum wiederholten Male zu den besten deutschen Bäckern gekürt wurde, etwa auch für die Herstellung der Aufbackbrötchen für Endverbraucher. Also werden in diesem Jahr wieder die Maurerkolonnen in Medewege anrücken und beim Finalisten für den Großen Preis des Mittelstandes den nächsten Anbau hochziehen.

 

Die scheinbar nicht enden wollende Expansion der Mühlenbäckerei ist nicht zuletzt auf die Tatsache zurückzuführen, dass sich Christian Fries ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen hat: Weit und breit ist kein Mitbewerber in Sicht, der so viele Lieferkunden bedienen könnte. Daran dürfte sich in absehbarer Zeit nichts ändern. „Aber in 20 Jahren“, sagt der umtriebige Bäckermeister, „wird es aus personellen Gründen sicher schwer werden, einen Betrieb in dieser Größenordnung zu halten.“

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)