Wie es ihm gefällt

Nach seiner Ausbildung 2008 war Mario Kaiser erst einmal weg. Acht Jahre lang hat der Konditor in Frankreich, der Schweiz, England und den USA gearbeitet. Das lag nicht zuletzt an seinem Lehrbetrieb, wo für Kreativität kaum Platz war. „So was geht bei uns nicht, das funktioniert nicht, das wollen die Kunden nicht“, bekam er immer wieder zu hören. „Das hat mich mächtig genervt.“

 

Dass es auch anders geht, hat Kaiser bereits während eines Praktikums in Frankreich im Rahmen der Ausbildung erfahren: „Das war in einer kleinen Patisserie mit einem reduzierten Sortiment und einem sehr guten Ausbilder, die wirklich alles selbst gemacht hat.“

 

Seit Mitte 2016 führt der 34-jährige Konditormeister, Chocolatier und Patissier seinen eigenen kleinen Betrieb im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort stellt er jeden Tag fest, dass die Kunden durchaus mehr wollen als das klassische Sortiment deutscher Konditoreien.

 

Die achtjährige Walz hat Mario Kaiser nicht nur in Patisserien, Confiserien und Bäckereien, sondern auch in die System- und Sternegastronomie sowie auf Kreuzfahrtschiffe geführt. „Ich wollte andere Esskulturen, Arbeitsstile, Zutaten und Gewürze kennenlernen und daraus meinen eigenen Stil entwickeln.“

 

Das hat er offenbar geschafft, denn bereits eineinhalb Jahre nach dem Start ist die Kapazität seiner Patisserie mit Café, in dem auch Herzhaftes auf der Karte steht, räumlich und personell voll ausgelastet. Das dürfte auch an dem Umstand liegen, dass auf dem Berliner Stadtplan noch vergleichsweise wenige Patisserien zu finden sind. Kaiser kann sie an zwei Händen abzählen, „wobei die zweite Hand schwer vollzukriegen ist“.

 

Mario Kaisers Konzept beruht auf fünf Säulen: individuelle Stück-Patisserie, neu interpretierte Konditoren-Klassiker wie Windbeutel, Schwarzwälder Kirschtorte oder Eclair, Glas-Desserts, Pralinen und Schokolade und Schokoladenskulpturen. „Ich möchte die Menschen mit ihnen bekannten Produkten abholen und sie auf neue Sachen stoßen, die es nicht an jeder Ecke gibt“, lautet seine Philosophie.

 

Kennzeichen seiner Arbeitsweise sind zudem der „absolute Verzicht auf Tüten“ sowie ein schmales, nicht zu tiefes Sortiment, das nicht ständig komplett verfügbar ist. Stattdessen nimmt Kaiser sich lieber Zeit für persönliche Noten und das Spielen mit Zwischentönen und Nuancen, wie sie zum Beispiel in einer mit Blättern von der Capri-Limette verfeinerten Zitronentarte zu spüren sind. Das oder auch Verwendung echter Vanille anstelle von Aromen ist für ihn ein zentraler Aspekt eines „ehrlichen und coolen Handwerks“.

 

Seinen kleinen Cafébereich mit fünf Tischen definiert Mario Kaiser als einen Ort der Entschleunigung und des bewussten Genießens, an dem man sich auch mal länger als auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen niederlässt. Und als einen Raum, in dem das Besondere zelebriert und an dem nicht über Alltägliches gesprochen wird, sondern über das, was da gerade auf dem Teller liegt.

 

Wie der gebürtige Berliner seine Philosophie umsetzt, lässt sich oft in seiner gläsernen Backstube erleben. Dort nutzt er jede Gelegenheit zu einem Gespräch und erklärt, was er wie macht und warum er größtenteils mit biologisch erzeugten Rohstoffen und Zutaten arbeitet – und dass er wirklich alles selbst herstellt. Diese Transparenz führt unterm Strich auch dazu, dass die meisten Kunden und Café-Gäste seine Preisgestaltung gut nachvollziehen können. „Das ist manchmal ein längerer Prozess, aber es lohnt sich.“

Aus den Gesprächen nimmt der junge Konditormeister gerne Anregungen seiner Kunden auf. Zum Beispiel die, doch mehr von den begehrten Formpralinen zu produzieren, die in dem Ein-Mann-Betrieb zuweilen etwas auf der Strecke bleiben. Geradezu gereizt reagiert Mario Kaiser hingegen auf Food-Hipster oder Blogger, die ihn zur Bedienung vermeintlicher Mega-Trends bewegen wollen.

 

Mit entsprechenden „Totschlag-Themen“ wie etwa Vegan oder Glutenfrei braucht ihm niemand zu kommen, denn die lässt Kaiser komplett an sich abperlen: „Ich stehe auf Butter, Milch, Sahne, Eier und Zucker und lasse mich in keine Richtung drängen.“ Da kreiert er lieber seine eigenen Trends wie zum Beispiel das verspielte Kombinieren von Schokolade und Kräutern. „Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“

 

Mit seiner kompromisslosen Strategie scheint der Patissier, dessen Anteil am Liefergeschäft bei zehn Prozent liegt, genau den Nerv seiner Kunden zu treffen. Die meisten von denen haben schon von ihrem Äußeren und ihrem Auftreten her kaum etwas mit vielen oft exaltiert wirkenden Bewohnern des „Szene-Bezirks“ Prenzlauer Berg gemein – aber offensichtlich ein feines Gespür für hochwertige kunsthandwerkliche Produkte im mittleren Preissegment.

 

„Wenn die Kalkulation für ein Produkt beispielsweise 6,70 Euro ausspuckt, kann ich das hier noch lange nicht nehmen, da muss ich mich schon an meiner Klientel orientieren“, sagt Kaiser. Bei französischen Touristen trifft er mit seinen Preisen meistens auf ungläubiges Stirnrunzeln und die Bemerkung, dass sie für diese Qualität in der Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße deutlich mehr hinlegen müssten. Bei einem Blick in die Zukunft sieht sich Mario Kaiser, der auch eine Ausbildung zum Ernährungsberater absolviert hat, nicht zuletzt als Initiator eines Lieferantennetzwerks. Dafür möchte er regionale Erzeuger aus Berlin und Brandenburg gewinnen, die ihre Arbeit an ökologischen und fairen Gesichtspunkten orientieren.

 

 

Außerdem stehen Abendveranstaltungen mit Dessert-Menüs auf seiner Agenda. Die hat Kaiser etwa während seines dreijährigen England-Gastspiels kennen- und lieben gelernt. Ein Vorbild gibt es auch vor Ort im Bezirk Neukölln – in der CODA Dessertbar, wo sein gleichaltriger Kollege René Frank kulinarische Maßstäbe setzt.

Fotos: Unternehmen/Martin Blath

Erstveröffentlichung: Konditorei & Café (www.kocaonline.de)