Alles Pfeffer in Pulsnitz

Als gäbe es kein Morgen. Die längste Schlange misst gut 50 Meter – bei einer gefühlten Temperatur von minus 5 Grad. Aber auch an den anderen acht Ständen des Pulsnitzer Pfefferkuchenmarktes herrscht an diesem grauen Freitagnachmittag großer Andrang. Offenbar ist die gesamte Einwohnerschaft auf den Beinen, um sich für die kommende Weihnachtszeit mit dem traditionsreichen Gebäck in den mannigfaltigsten Varianten einzudecken.

Acht handwerklich arbeitende Pfefferküchler und eine Lebkuchenfabrik halten in der sächsischen Kleinstadt 25 Kilometer nordöstlich von Dresden die Fahne der 1558 erstmals erwähnten Spezialitäten hoch. Selbstredend nicht nur zum Pfefferkuchenmarkt, der seit 2003 am ersten Novemberwochenende auf dem denkmalgeschützten Marktplatz stattfindet – umrahmt von der Stadtkirche St. Nicolai, dem Rathaus und schmucken restaurierten Häusern.

Aber nicht nur dort, sondern in der gesamten mit Marktständen der unterschiedlichsten Couleur bestückten Innenstadt sind von Freitag bis Sonntag an die 100.000 Menschen unterwegs. Viele der feilgebotenen Waren haben mit den Pfefferkuchen nicht das Geringste zu tun. Andere wiederum sind zumindest handwerklichen Ursprungs, denn das im Landkreis Bautzen gelegene Städtchen wirbt auch mit seiner Tradition der Töpfereien, Webereien und des Blaudrucks.

Im Mittelpunkt des Treibens stehen jedoch die Pfefferkuchen, die längst über das Ursprungsprodukt hinaus in zahlreichen Spielarten vermarktet werden – zum Beispiel in Gestalt eines Pfefferkuchen-Stollens oder einer so gewürzten Bratwurst. An Flüssigem darf es dabei natürlich ebenfalls nicht mangeln: Während die kleinen Besucher sich an der heißen Pfefferkuchen-Schokolade wärmen, greifen die Großen gerne zu dem einen oder anderen Pfefferkuchen-Glühwein, der dem kalten Wind und dem grauen Himmel trotzt.

Wie eng verbunden die acht Handwerks-Pfefferküchler sich ihrer sympathischen Tradition fühlen, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass sie nach wie vor eine eigene Innung innerhalb des Landesverbandes Sachsen und damit wohl Deutschlands kleinsten Zusammenschluss von Handwerksbetrieben bilden.

Eine intensive Verbindung existiert zudem zwischen dem weihnachtlichen Naschwerk, das via Onlineshops weltweit verkauft wird, und seinem Herstellungsort. Das wird unter anderem daran deutlich, dass Pulsnitz sich mit dem Slogan „Pfefferkuchenstadt“ schmückt, der seine touristische Wirkung nicht verfehlt.

So verwundert es auch nicht, dass die 8.000 Einwohner zählende Stadt ihrem Markenzeichen ein Museum gewidmet hat. Dort besteht etwa die Möglichkeit, anhand zahlreicher Dokumentationen, historischer Maschinen, Modeln und Ausstechformen in die Herstellung des Pfefferkuchens einzutauchen. Und wer möchte, probiert sich selbst im Backen aus oder nimmt an einer Verkostung teil.

In der Ausstellung lässt sich überdies in Erfahrung bringen, warum das Backwerk, mit dem die Pulsnitzer Betriebe von September bis Dezember mehr als 60 Prozent ihres Umsatzes erzielen, Pfefferkuchen heißt. Denn in die ohne Fett und Eier hergestellten Lebkuchen kommen zwar zahlreiche Beigaben wie Kardamom Koriander, Nelken, Piment und Zimt – allerdings kein Pfeffer. Des Rätsels Lösung: In früheren Zeiten hat man all diese und andere Gewürze unter der Bezeichnung Pfeffer zusammengefasst.

 

Ein weiteres Museum dieser Art befindet sind in Weißenberg bei Görlitz. In der dortigen „Alten Pfefferküchlerei“ werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Pfefferkuchenhandwerks vom 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert sowie dessen vorindustrielle Geschichte dokumentiert. Einen aktiven Pfefferküchler trifft man in der 20 Kilometer von Polen und Tschechien entfernten Stadt hingegen nicht mehr an.

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)

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