Die Focaccia ist ein Sensibelchen

Nach seinem Studium der Geschichte in Mailand und der jahrelangen Mitarbeit im elterlichen Café-Restaurant am Comer See war die Zeit reif für eine Veränderung. Am besten wo ganz anders. In einer anderen Kultur, mit einer anderen Sprache. So viel war Alfredo Sironi klar, als er sich 2011 entschied, nach Berlin zu gehen. Mehr nicht. Der 30-jährige Historiker landete im Bezirk Kreuzberg, der auf viele Menschen eine geradezu magische Anziehungskraft ausübt. Sironi fand eine Wohnung neben der wiederbelebten Markthalle Neun – und damit war sein neuer Weg besiegelt. In dem denkmalgeschützten Gebäude eröffnete er zwei Jahre darauf seine gläserne italienische Bäckerei Il Pane di Milano.

Backen die beste Foccacia der Stadt: Alfredo Sironi und sein Team

 

Alfredo Sironi ist kein ausgebildeter Bäcker, kann aber hervorragend backen, wie ihm seine Kundschaft gerne attestiert. Das hat er bei den Eltern gelernt, die in ihrem Café nicht nur den Kuchen selbst herstellen, sondern seit je her auch Brot, Brioche, Kekse und Focaccia. Dass er von diesem Rüstzeug einmal in einem solchen Maß profitieren würde, ist dem hochgewachsenen Mann mit dem Vollbart erst in Kreuzberg klargeworden. Hier steht er nun zusammen mit seinen fünf Bäckern, die alle in Teilzeit arbeiten, Tag für Tag in der kleinen, von allen Seiten einsehbaren Backstube inmitten der prachtvollen Markthalle, die sich zu einem Treffpunkt für Menschen mit einem Gespür für gute Lebensmittel entwickelt hat.

Sironi hält das Angebot nicht nur wegen der Größe seines Betriebs, der einschließlich Verkaufsfläche gerade mal 30 Quadratmeter misst, klein. Vier Weizensauerteigbrote, ein Ciabatta, zwei Sorten süßes Hefegebäck mit Rosinen und Schokolade, Cantuccini, eine Pizza Margerita und Focaccia (herzhaft und süß) – mehr brauchen der „Meister“ und seine Kunden nicht zum Glücklichsein. „Bei einem großen Sortiment besteht die Gefahr, dass es zu Lasten der Qualität geht“, ist er überzeugt.

Alfredos Aushängeschild ist das „Il Pane di Sironi“, ein 1,8 Kilogramm schwerer Laib aus Hartweizengries, der für 9,80 Euro über die Theke geht. Gefolgt von einem Dinkel-Weizen-Brot im Verhältnis 50:50 (900 Gramm für 5,20 Euro), einem Maisbrot, das neben Mais Weizen- und Weizenvollkornmehl enthält und von dem 900 Gramm ebenfalls 5,20 Euro kosten. Nummer vier trägt den Namen „Sapori Antichi“. Es besteht aus Dinkel, Roggen, Einkorn, Kamut und etwas Röstmalz für die Farbe, wiegt 700 Gramm und wird für 4,60 Euro verkauft.

 

 

Das Lieblingskind des backenden Historikers ist jedoch seine ebenfalls aus Sauerteig hergestellte Focaccia, „die es so nirgendwo anders gibt“. Wahlweise belegt mit Kartoffeln, Käse, Rosmarin, Oliven oder einfach nur mit Olivenöl beträufelt, findet sie für 2,50 Euro das Stück den ganzen Tag über reißenden Absatz. Der Hartweizen-Teigfladen, der an den Ecken kross und innen saftig sein muss, ist ein Sensibelchen, das empfindlich auf äußere Einflüsse wie die Temperatur des Wassers, des Vorteigs und der Dauer der Fermentierung reagiert.

Schiefgehen können dabei zum Beispiel die kleinen Vertiefungen (Augen) auf der Oberfläche. Wenn die nicht genau zum richtigen Zeitpunkt in den Teig gedrückt werden, verschwinden sie wieder und das Fladenbrot kommt komplett flach aus dem Ofen. „Auf den ersten Blick ist die Focaccia zwar ein einfaches Produkt aus wenigen Zutaten, aber ihre Herstellung hat es in sich.“ In Sironis Heimat gehört sie ebenso wie eine einfache Pizza in vielen Betrieben zum Standard und steuert einen erklecklichen Teil zum Umsatz bei.

 

Seine 1050-er, meist steingemahlenen Mehle bezieht Alfredo Sironi ausschließlich aus Italien. Das ist in erster Linie für den proteinreichen Hartweizen wichtig, der unter der heißem Sonne des Mittelmeerraums am besten gedeiht, für eine schöne Farbe und Kruste sorgt und sich am besten zu einem elastischenverarbeiten lässt Teig – was vor allem für die Focaccia entscheidend ist. Weitere Gründe für die weite Reise des Mehls ist die Kultur, die er mit den dortigen Müllern teilt und mit der Sprache: „Es ist relativ kompliziert zu erklären, was ich mit den Mehlen machen möchte, und deshalb vertraue ich auf die Empfehlungen aus meiner Heimat.“ Genauso wichtig wie das Mehl ist die Zeit, sagt Sironi. Vor allem die Zeit, die man dem Sauerteig zum Gehen lässt. Bei ihm vergehen etwa 20 Stunden, bis das Brot in den Ofen kommt.

 

Das kleine Sortiment hat auch den großen Vorteil, dass die Bäcker nicht mitten in der Nacht beginnen müssen, sondern erst morgens um 5 Uhr und samstags um 4 Uhr. Ab dann ist die gläserne Backstube den ganz Tag besetzt. „Wir lassen uns gerne über die Schulter schauen, weil wir den Kunden zeigen möchten, was Lebensmittelkultur bedeutet“. Alfredo Sironi versteht darunter zum Beispiel den Respekt vor einem lebendigen Teig, der sich je nach Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit anders verhält. Oder die Wertschätzung der Getreidebauern, der Müller und seiner fünf Bäcker. „Die Kunden kennen und teilen unsere Werte und begegnen uns wiederum mit Respekt“, sagt Sironi. Und sie sind bereit, für gute handwerkliche Arbeit einen reellen Preis zu bezahlen.

In der Konzentration auf gute handwerkliche Arbeit, in Verbindung mit einem überschaubaren Angebot und dem Vertrauen auf das eigene Können, sieht Sironi eine Chance für kleinere Betriebe, sich auf Dauer gegen die industrielle Konkurrenz zu wehren. „Mit Backmischungen, Hilfsmitteln aller Art und einem großen Sortiment, das hohe Kosten verursacht, können wir nur verlieren.“

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)