Russlands neue Liebe

Eigentlich wollte Alexander Kurella in Russland lediglich Holzbacköfen von Häussler verkaufen. Zum Beispiel an abgelegene Klöster, denen es oft an einer stabilen Versorgung mit Strom oder Gas fehlt. Das war vor drei Jahren – und der findige deutsche Wahl-Moskauer wusste schon damals, dass handwerklich hergestelltes Brot in der russischen Förderration im Kommen ist.

Von diesem Wissen bis zur eigenen Bäckerei namens BIOBROT war es dann nicht mehr weit. Zunächst musste Kurella jedoch ein Hindernis aus dem Weg räumen: Der gebürtige Berliner, der seit 1998 in Moskau lebt, ist nämlich kein Bäcker, sondern Physiker. „Ich brauchte also einen Profi aus Deutschland, den ich dank der Vermittlung durch Häussler gefunden habe“, erzählt der 50-Jährige, der mit einer renommierten russischen Schriftstellerin verheiratet ist.

Mit dem damals 26-jährigen Bäckermeister Alex Onasch hatte Kurella den richtigen Partner getroffen: „Alex hat den Betrieb aufgebaut und in den ersten Monaten sieben Tage die Woche gearbeitet.“ Der junge Deutsche kann jedoch nicht nur backen, sondern seine Kenntnisse auch äußerst anschaulich vermitteln.
 

Davon hat während dessen zweijährigen Moskauer Gastspiels auch Alena Lunina profitiert. Die 28-Jährige mit einer zehnjährigen Auslandserfahrung in Deutschland, aber ohne jegliche Berufserfahrung im Bäckerhandwerk, erwies sich als sehr gelehrige Schülerin – und leitet inzwischen die 100 Quadratmeter große Holzofenbackstube mit vier Mitarbeitern. „Und sie macht das sehr gut“, betont Alexander Kurella.

Dennoch ist Alex Onasch nach wie vor der „geistige Leiter“ des Betriebs. Und als solcher übt er sein Amt nicht nur von Ferne aus, sondern ist immer wieder auch vor Ort. Diese Fernbeziehung würde es wohl nicht geben, wenn Kurella auf einheimisches Fachpersonal zurückgreifen könnte. Zwar gibt es in Russland eine Bäcker-Schmalspurausbildung an Kochschulen, „aber diesen Leuten fehlt es an der Praxiserfahrung.“

Rund 900 langzeitgeführte Brote pro Tag (und sonst nichts) produzieren Alena Lunina und ihr Team pro Tag in dem Betrieb am Stadtrand von Moskau. Die auf den ersten Blick nicht optimale Lage – im Zentrum wäre die Miete zu hoch gewesen – ist beileibe kein Hindernis. Viele Kunden nehmen die bis zu 30 Kilometer lange Anfahrt gerne in Kauf – und rufen an, wenn sie im Stau stehen und befürchten, am Ziel vor leeren Regalen zu stehen.

Denn trotz des Trends zu Brot vom Handwerksbäcker ist Kurellas Betrieb noch einer von wenigen seiner Art. Die meisten Moskauer kaufen ihre Backwaren, „die für die Russen zu jeder Mahlzeit gehören“, nach wie vor in gigantischen Supermärkten mit bis zu 100 Kassen, wo sie für ein Kilo Industrieware umgerechnet etwa 30 Cent bezahlen.

Der Name BIOBROT ist etwas irreführend, da nur etwa 40 Prozent des Sortiments nach ökologischen Gesichtspunkten und mit Mehl von der eigenen Mühle produziert werden. Doch das interessiert in Russland, wo es noch keine staatliche Bio-Zertifizierung gibt, niemand.

Die in Moskau gerade aufkommenden Bio-Läden stört das ebenfalls nicht – und immer mehr davon zählt Kurella zu seinen treuen Kunden. „Wir wachsen gemeinsam“, stellt der Unternehmer fest. Konventionelle Lebensmittelmärkte des oberen Preissegments würden auch gerne bei ihm einkaufen, doch das gibt die Kapazität des Betriebs, der zudem einige Restaurants beliefert, nicht her.

Das könnte sich in absehbarer Zeit ändern, denn Alexander Kurella möchte expandieren – und zwar am liebsten mit einer deutschen Bäckerei als Partner. Die potenziellen Kunden für handwerklich hergestelltes Brot stehen ja bereits Schlange.

Fotos: Biobrot

Erstveröffentlichung: Allgemeine BäckerZeitung (www.abzonline.de)